Wege raus aus dem Dunkel
Wenn die Zeit schneller läuft als du
Wenn die Zeit schneller läuft als du

Wenn die Zeit schneller läuft als du

Eben noch zwei, jetzt Viertel nach sechs, schaue auf die Uhr, es ist wie verhext, wie schnell die Zeit doch vergeht. Vier Stunden einfach weg, ich weiß nicht wie – und was habe ich nur gemacht? Mein Kopf rattert laut, versuch‘ mich zu erinnern: Lass mal nachdenken, ok…. Heute Morgen, bin ich aufgewacht. Aufgewacht, ja, das ist mir klar, sonst säße ich wohl nicht hier. Nur… was ist mit dem restlichen Tage? Nur Nebel und Zeichen der Frage im Kopf. Antworten sind da keine, weder in mir noch sonst irgendwo.

Ein Blick zur Uhr, das kann doch nicht sein, jetzt ist es plötzlich ernsthaft schon neun. Neun – wie konnte das nur passieren? Irgendwie scheine ich die Zeit aus den Augen zu verlieren, ohne es auch nur im Ansatz zu bemerken.

Panik steigt auf, Verunsicherung auch, denn was geschieht mit mir? Ich sitze zwar noch immer hier doch irgendwie ist die Zeit gesprungen und mir ist es nicht gelungen anwesend zu sein. Mein Gehirn ist vernebelt, gleichzeitig leer und irgendwie auch viel zu voll. So voll, dass ich mich, egal was ich tu, nicht daran erinnern kann, bin ich ich oder du? Daran erinnern, was heute ist gewesen – gewesen und passiert, ich bin komplett irritiert, denn sollte ich das nicht wissen? Wissen was in meinem Leben abläuft, was ich tue und mache und dabei sein, bei der Sache? Doch irgendwie war ich es auch, denke ich, stehe dabei fest auf dem Schlauch, der die Verbindung zur Vergangenheit darstellt. Nein, nicht stehend, sondern springend befind ich mich hier, jedes „Jetzt“ fließt durch die offene Tür, die entsteht, wenn ich in der Luft bin. Doch sobald ich stillsteh, mich nicht bewege, um mir anzusehen, was gerade noch jetzt war, ist der Schlauch unterbrochen und ich, ich steh vor geschlossener Tür.

Unbehagen steigt auf, kriecht den Rücken hinauf, wie komm‘ ich hier raus und wie bin ich hier hineingeraten? Ich habe keine Ahnung, kann nur abwarten, doch Geduld ist eher nicht so meins.  Nicht meins, nicht meine Stärke, doch zum Glück bin ich nicht ganz allein, mein rationaler Verstand greift ein. Mein Verstand redet auf mich ein: irgendein Grund wird wohl vorhanden sein, weshalb dein Geist dissoziiert, dich von der Realität isoliert nur, kannst du ihn nicht sehen und dadurch nicht verstehen, was für einen Sinn das alles hat. Weshalb dich dein Ich schützen will, indem es stur auf dem Schlauch steht, ganz still und dich in Nebel hüllt. In Nebel hüllt seit Monaten, mich vergessen lässt und alles tut, nur um ES nicht zu sehen, nicht zu spüren. „Es?“, fragst du, „Was soll das sein!“ Ich, ich fühle mich hilflos und klein, denn eine Antwort hab‘ ich nicht. Eine Antwort darauf, weshalb ich bin taub und leer, mein Kopf ist oft unfassbar schwer und Angst sitzt mir im Nacken. Angst, da ich nicht verstehe, was in und mit mir passiert, wie ich es kann anpacken und wie ich mir selbst helfen kann. Helfen kann wieder zu sehen, mich nicht mehr nur im Kreis herumzudrehen, sondern auch die Vergangenheit zu akzeptieren. Doch Akzeptanz von was im Speziellen? Das ist Teil des Problems, denn es liegt nicht im Hellen, sondern im Dunklen, versteckt und undeutlich. Undeutlich sehe ich, dass tief in mir drin eine Blockade sitzt, mein inneres Kind traurig und sehr verletzt ist und ich mich kümmern sollte. Kümmern sollte um das Kind und um mich. Doch wie, frage ich dich, denn ich stehe vor dem Spiegel schaue in mein Gesicht und erkenne die Frau dort nicht. Die Frau mit kurzen Haaren, grauem Gesicht und tiefen Augenringen. Schmerz von tausend Dingen und Trauer in den Augen – oder ist es Leere? Es ist, als ob sie gar nicht anwesend wäre, sondern irgendwo weit weg. Tiefe Traurigkeit im Herzen, ein Körper gefüllt mit Schmerzen und Hoffnungslosigkeit. Hoffnungslosigkeit, die macht sich breit, denn obwohl ich jeden Tag kämpfe scheint irgendwas in mir nicht bereit zu sein, das Schlimmste zu benennen. Das Schlimmste, was auch immer es ist, es zu benennen anstatt weiter vor ihm wegzurennen, und es endlich zu integrieren, um das Leben wieder zu spüren und nicht nur vor mich hinzuvegetieren. Vor mich hinzuvegetieren taub, leer und voll Trauer, Schmerz immer auf der Lauer und tiefe Verzweiflung, die mich lähmt.

Text: Aufgrund meiner dissoziativen Störung, bekomme ich teilweise nicht mit, wie die Zeit vergeht oder ich kann mich nur sehr schwer daran erinnern, was ich gemacht habe. Es ist unangenehm, beängstigend, nicht verständlich. März 2023
Foto: Frühlingsanfang in Köln, März 2023 ©Kristine.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du hast kein Produkt im Warenkorb!
0