Wege raus aus dem Dunkel
Vom Regen zur Sonne – Tagesklinik Tag 23
Vom Regen zur Sonne – Tagesklinik Tag 23

Vom Regen zur Sonne – Tagesklinik Tag 23

Als ich heute aufgewacht bin und mich fertig gemacht habe, dachte ich noch: Was für ein ätzender Tag. Ich bin mega müde, mein Körper ist schwach und schmerzt, ich habe wieder einen inneren bockigen Anteil, der nicht will und fühle mich insgesamt eher schwer vom Körper her. Und dann regnet es auch noch in Strömen!! Aber es hilft ja nichts: Los geht’s. Diese Stimmung hielt in der Klinik erst einmal an, wurde dann sogar noch verschlimmert, da ich nach dem Frühstück sehr starke Magenkrämpfe hatte und die trotz Wärmflasche über eine Stunde angehalten haben. Ich habe Hörbuch gehört und versucht mich davon ein wenig abzulenken, aber das hat nur mäßig gut funktioniert.

Selbstwertgruppe

Um 10 Uhr fand die Selbstwertgruppe statt, bei der es heute darum ging, festzustellen, welches Gefühl man in einer Situation hat, was der Auslöser war, ob das Gefühl in der Intensität, in der man es fühlt, angemessen ist, welchen Handlungsdrang man hat, ob dieser Handlungsdrang langfristig sinnvoll ist und was eventuell angemessener wäre. Das klingt vielleicht leicht, ist es aber oft nicht. Denn ich lande regelmäßig im zweiten emotionalen Netz anstatt im ersten, sprich: Es werden bei mir Gefühle aus der Vergangenheit aktiviert, die für die momentane Situation vollkommen unangemessen sind. Ich reagiere zum Beispiel eifersüchtig, obwohl es objektiv gesehen dafür absolut keinen Grund gibt. Aber da mein inneres Kind sofort denkt „Ich werde verlassen“, weil es das Gefühl von früher her kennt, wird das aktiviert und es folgen Angst und Eifersucht, die vollkommen über das Angemessene hinausschießen. Ziel ist es, das zu bemerken und dem schädlichen Handlungsdrang nicht nachzugehen. Das erfordert Übung, Übung und Übung. Aber es hilft auch, es in der Gruppe zu besprechen und zu sehen: Du bist nicht allein und man kann etwas dagegen tun!

Entspannung

Danach hatten wir 25 Minuten Entspannung. Heute haben wir so etwas ähnliches wie progessive Muskelentspannung gemacht. Wir sollten zunächst unser rechtes Bein auf die Unterlagen drücken, dann wieder loslassen. Das ganze zwei Mal. Dann das linke Bein, Hintern, Rumpf, Arme und zum Schluss den Kopf. Es war alles in Ordnung und ich konnte mich ein wenig entspannen, bis es zum Kopf kam. Ich habe den Kopf auf die Unterlage gedrückt und ad hoc kamen in mir Stress, Angst, Ekel, Trauer hoch. Ich hatte den Drang aufzustehen und wegzulaufen. Wegrennen von dem Gefühl. Raus aus der Situation. Mein Körper war angespannt, leichte Schmerzen überall bzw. leichtes Unwohlseingefühl überall, sodass ich mich am liebsten geschüttelt hätte. Aber ich habe es geschafft, mich wieder ein wenig runter zu skillen: Ich habe zunächst meine Finger bewegt, das half minimal, reichte aber nicht. Dann die Augen geöffnet und umher geblickt. Da das immer noch nicht ausreichend war, habe ich überlegt, ob ich meinen Igelball und das Ammoniak aus meiner Notfalltasche holen soll, mich aber erst nicht getraut, weil dich die anderen nicht stören wollte. Typischer Gedanke: Ich halte es schon irgendwie aus, Hauptsache den anderen geht es gut. Zum Glück habe ich das bemerkt, gestoppt und mir meine Hilfsmittel herausgesucht. Das war eine gute Entscheidung, denn dadurch ging es mir schnell ein wenig besser und ich konnte es im Raum aushalten. Natürlich waren die Gefühle alle noch da, aber in so einem Maße, dass ich nicht mehr so einen krassen Fluchtimpuls hatte. Mit der Zeit wurden sie dann auch weniger. Ich war und bin stolz auf mich, dass ich das erste Mal wirklich gut reagiert habe und versucht habe, mich bewusst runter zu skillen und auf mich geachtet habe, anstatt nur auf die anderen. Mein innerer Kritiker greift natürlich sofort ein und erzählt mir, was ich alles hätte anders machen müssen, wieso es überhaupt soweit kam, dass ich viel zu schwach sei etc. Ich versuche, mich davon zu distanzieren und es anzunehmen.

Zielvorstellung

Nach dem Mittagessen fand meine Zielvorstellung. Das bedeutet, dass ich vor dem gesamten Team meine persönlichen und meine DBT Ziele vorgestellt habe, die ich mir– mit Hilfe der Bezugspflege – gesetzt habe. Ich war vorab ziemlich nervös, hatte Herzrasen, habe geschwitzt und mein Kopf drohte in Nebel abzuschweifen. Aber durch eine gezielte Anit-Stress-atmung, habe ich das etwas in den Griff bekommen. Die Vorstellung war dann recht gut, da Frau Markus zum Schluss alles zusammengefasst hat und ich in dem Moment auch erst richtig den Sinn der Zielvorstellung verstanden habe. Ich habe mich in der Runde gut aufgehoben gefühlt, da ich alle kannte und alle sehr freundlich sind. Außerdem habe ich mich wertgeschätzt und ebenbürtig gefühlt, was es einfacher gemacht hat, in dieser großen Gruppe meine Ziele vorzustellen.

Persönliche Ziele

Meine persönlichen Ziele sind in erster Linie die Beziehungsfähigkeit, sprich, dass ich mich in partnerschaftlichen Beziehungen angemessener verhalte, aber auch dass ich stabile soziale Kontakte aufbauen und halten kann. Es geht darum, mein dysfunktionales Verhalten in Beziehungen zu verringern. An zweiter Stelle steht dann die Arbeitsfähigkeit.

DBT-Behandlungsziele

Um diese Ziele zu erreichen, habe ich folgende DBT- Behandlungsziele festgelegt:

1. Stresstoleranz

Im Rahmen der Stresstoleranz geht es zunächst darum den Selbstwert zu stärken und dysfunktionales Verhalten zu beenden. Sprich, suizidale Krisen, Alkoholkonsum, selbstverletzendes Verhalten, Impulsitivät, Essstörung und Dissoziationen in den Griff zu bekommen.

2. Umgang mit Gefühlen

Das zweite Ziel ist es, den Umgang mit Gefühlen zu erlernen. Auch hier geht es zunächst um die Selbstwertstärkung. Danach geht es darum, vor allem mit Wut/ Ärger, Verlust- und Versagensängsten, Schuld- und Schamgefühlen, Enttäuschungsgefühlen und Eifersucht in angemessener Form umzugehen. Außerdem geht es darum zu lernen, angenehme Gefühle (besser) zuzulassen.

3. Zwischenmenschliche Fähigkeiten

Das dritte Ziel betrifft zwischenmenschliche Fähigkeiten. Die Selbstwertstärkung steht auch hier an erster Stelle. Gefolgt von dem Erlernen des Nein-Sagens, des Grenzensetzens bzw. der Abgrenzung und des Entscheidungtreffens anhand der 3 Orientierungen: Ziel-/ Beziehungs-/ Selbstachtungseffektivität. Darunter fällt dann auch zu lernen, die eigenen Meinung zu äußern, eigene Bedürfnisse zu kommunizieren sowie die Konflitfähigkeit zu verbessern.

4. Selbstwert

Zum Schluss geht es noch um den Selbstwert allgemein. Es geht darum, einen liebevolleren Umgang mit mir selbst zu erlernen, mich nicht immer schlecht zu machen und so hohe Hürden zu setzen, dass ich stolpern muss. Es geht auch darum, eine Art Waffenstillstand mit mir selbst zu finden.

Dass der Selbstwert sich in allen dieser Ziele an erster Stelle wiederfindet, hängt damit zusammmen, dass es zwei verschiedene Typen bei Borderline gibt: Einmal die, die an guten Tagen einen guten und an schlechten Tagen einen schlechten Selbstwert haben, und andererseits diejenigen, die eher immer einen schlechten Selbstwert haben. Zu dieser Gruppe zähle ich mich. Das bedeutet aber, dass man bei jedem Ziel den Selbstwert mit aufbauen muss, ansonsten könne ich meine Erfolge nicht wahrnehmen und annehmen und würde somit nicht zum Ziel kommen.

Das so gebündelt und deutlich formuliert zu hören, tat mir recht gut. Auch wenn ich absolut keine Ahnung habe, wie ich dieses Ziel erreichen soll und auch das Gefühl habe, von all den Zielen einfach überschwemmt zu werden, sie niemals erfüllen und erreichen zu können, so ist es ein Anfang, dass ich hier in der Klinik bin und seit 3,5 Wochen jeden Tag hier hinkomme und bleibe. Irgendwo in mir drin bin ich auch neugierig, was hier noch so passieren wird und ob es mir etwas bringt.

Selbstfürsorge

Leider fällt die nächsten zwei Wochen die Kunsttherapie aus, was ich sehr schade finde. Dadurch haben wir noch mehr Freizeit, als ohnehin schon. Die Zeit ist im Prinzip oft zu viel, um sie komplett für Hausaufgaben zu nutzen. Oder ich bin, wie heute, einfach zu müde dafür. Aber auch das zählt zur Selbstfürsorge: Gucken, was man dann machen kann. Ich habe heute meinen Laptop mit und schreibe diesen Text. Das tut mir gut, da ich noch einmal verschriftlichen kann, was passiert ist und mir so meine Ziele aber auch das heute Erreichte noch einmal bewusst in Erinnerung rufe.

Und jetzt?

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Jetzt bin ich zwar immer noch sehr müde und erschöpft, habe fast die ganze Zeit Bauchschmerzen, aber fühle mich irgendwie auch ein wenig gut, heute etwas geschafft zu haben. Und passend dazu, scheint die Sonne!

2 Kommentare

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