Die Idee
„Hast du im September Zeit? Wollen wir nach Skandinavien fahren?“ Die Idee ist mir gerade spontan gekommen. „Bitte was?“, fragt meine Sis irritiert. „Ob wir im September nach Skandinavien fahren sollen. Fand die Idee grad irgendwie gut.“ „Achso. Klar, wann?“ „Äh, weiß nicht, September irgendwann?“ „Ok. Wie?“ „Dachte mit deinem Auto und Zelt?“ „Ähm… Joa. Meinst du mein Auto macht das mit?“ „Keine Ahnung, wieso nicht? Im schlimmsten Fall bleiben wir halt liegen. Dann haste zumindest ‘nen Grund dir den lang ersehnten Campervan zu kaufen“ „Haha, ok. Stimmt. Läuft.“
Fertig war die Planung. Ein Roadtrip nach Skandinavien. Frei und unabhängig sein. Wohin genau? Mal gucken. Erst einmal los. Skandinavien halt. „Was ist eigentlich mit unserem Bruder? Will der nicht auch mit?“, fragte meine Sis nach ein paar Tagen. Shit, daran hatte ich nicht wirklich gedacht. „Mhm, kann ich mir nicht vorstellen. Mit Zelt und so. Oder?“ „Joa, denke ich auch, aber fragen können wir ja mal.“ „Jo. Mache ich.“
Überraschung
„Voll gute Idee, klar komme ich mit.“ Bitte was? Perplex gucke ich ihn an. „Du willst mit? Zelten?“ „Ja klar. Zwei Wochen Kopf frei bekommen, ist doch ‘ne spitzen Idee.“ „So ohne lernen und PC?“ „Klar, wollte eh Urlaub machen, wusste nur nicht wo und wie.“
„ER WILL MIT!!“, schreie ich ins Telefon meiner Sis zu. „Waaaas?!?“ Ich musste lachen. Ja, so leicht kann man sich irren. Aber umso besser, fahren wir zu dritt. Warum nicht. Noch nie gemacht, aber wieso sollte es nicht auch gehen.
What now? Logistische Probleme
Das stellte uns zunächst jedoch vor ein logistisches Problem: Das Auto meiner Sis ist definitiv zu klein um drei Menschen inklusive Gepäck zu beherbergen. „Ich habe ‘ne Ideeeeeee, wir holen uns eine Dachboooooooox!!!!“ Also: Dachbox recherchieren, suchen und schließlich kaufen. Check. Eine Kühlbox besorgen. Check. Anfangen, Klamotten zusammen zu sammeln, die man noch brauchen könnte. Che.. Naja, nicht wirklich. Das passierte wie immer last minute.
„Du brauchst auf jeden Fall Wanderschuhe.“, teilte ich meinem Bruder mit. „Was?“ „Ja klar, mit normalen Schuhen wird das nichts. Wir gehen wandern! So Berge rauf und so.“ „Ernsthaft? Na gut.“ Wochenlang lief er also nun in der Wohnung mit verschiedenen Wanderschuhen herum. Einlaufen. Und Perfekte zu finden. Am Ende waren sie zwar nicht perfekt, aber ausreichend in Ordnung um mitzukommen.
Upgrade – eine bisschen Luxus
„Ich habe mit Papa telefoniert. Er hat mitbekommen, dass wir reisen gehen wollen. Er würde einen Miet-Van bezahlen.“, teilte mir meine Schwester ein paar Wochen später mit. Mein erster Gedanke: Auf keinen Fall. Wir wollten Zelten. Und haben doch schon die Dachbox und Kühlbox. Außerdem, was für n Van und woher bekommen wir den?? Wie immer führte die Planänderung zu einer kurzen Überforderung meinerseits. Ich bin nicht gut darin, wenn Pläne sich ändern. Eher schlecht. Allerdings… Einen Campervan mieten? Mhm… Das hätte natürlich auch Vorteile. Viele Vorteile… Klar, es würde den Urlaub verändern, aber vielleicht wäre ein bisschen Luxus auch ganz nett. Es wäre nicht so kalt und wir hätten definitiv mehr Platz und wir müssten kein Zelt mehr kaufen. Kurze Lagebesprechung: Alles klar, ein Campervan soll her. Nur wo sollen wir den mieten? Und was für einen? Und wann genau wollen wir eigentlich los? Urlaub muss noch eingereicht werden. Bei allen. Entscheidungen über Entscheidungen. Naja, wird schon klappen.
Der Vorteil an Entscheidungsschwierigkeiten ist der, dass es irgendwann kaum noch Optionen gibt. Im Endeffekt hatten wir so lange gewartet, bis die Auswahl an verfügbaren Wagen gering war. In Hamburg gab es noch einen, der uns passend erschien: Buchen und abwarten. Es wird konkret. Bei Mautstationen online anmelden, damit es da keine Probleme gibt. In Skandinavien gibt es nämlich ab und an mal Mautstraßen. Die werden über einen Anbieter oder zwei abgerechnet, bei denen man sich laut Mietvertrag zuvor anmelden muss. Ob wir die benutzen werden? Wer weiß das schon. Mal abwarten. Besser haben als brauchen.
Guter Plan, nur …
So kam der Urlaub unaufhörlich näher: Da mein Bruder und ich ja noch in Köln waren, mussten wir erst einmal nach Hamburg kommen, um dort den Wagen abzuholen. Der Plan war perfekt: Freitagfrüh mit der Flixtrain nach Hamburg und dort direkt zur Vermietung, den Bus abholen, und weiter nach Lübeck unsere Sis einsammeln. Dort wollten wir dann übernachten und zu dritt Samstagfrüh weiterfahren. Unsere Sis hatte bereits eingekauft, sodass wir den Bus dort nur noch beladen mussten. Ein guter Plan. Also, in der Theorie. Denn wie es so ist: Es kam ein wenig anders.
Donnerstagnachmittag: Bahnchaos in Köln. Plötzlich fuhren quasi keine Bahnen mehr. Vor allem keine Fernbahnen. Wasserrohrbruch oder so am Hauptbahnhof. Nichts fährt mehr dort hin. Nichts fährt mehr davon ab. Nichts geht mehr.
Hallo Panik
Kurze Aufruhe (oder auch eher Panik und Überforderung auf meiner Seite): Was bedeutet das für uns? Können wir nicht fahren? Bangen und warten, bis nachmittags die Mitteilung kam: Die Flixtrain fällt aus. Voraussichtlich bis Samstag werden gar keine Bahnen vom Hauptbahnhof mehr abfahren. Der Fernverkehr liegt brach. Was tun? Vom Flughafen fährt noch ein Bus – nur, wie kommen wir dort hin, wenn die Bahnen nicht wirklich fahren? Und sind wir dann nicht viel zu spät in Hamburg? Das Auto kann man ja nur bis 17 Uhr abholen. Oder sollen wir uns ein Auto mieten und damit nach Hamburg fahren? Zu kurzfristig, zu kompliziert. Da bleibt nur eins: Die Mutter in Hamburg anrufen und sie bitten, uns hier mit ihrem Auto einzusammeln und nach Hamburg zu bringen. Ich muss sagen: Ich hätte niemals meine Mutter angerufen und das vorgeschlagen. Im Leben nicht. Aber mein Bruder ist schmerzbefreit und überredete sie Donnerstagabend. „Warum denn nicht?“ Und tatsächlich: Freitag um 10 Uhr morgens stand sie bei uns in Köln vor der Tür. „Es war gar kein Verkehr, ich bin total schnell durchgekommen.“ Jup, vier Stunden sind wirklich schnell.
Danke, Mum
„Ich dachte, du wolltest nachmittags kommen?“ [Korrekt: Ich war direkt im gereizten und zickigen Modus] „Ja, es ging erstaunlich schnell. Wir könnten ja theoretisch jetzt gleich schon losfahren, dann sind wir heute in Hamburg, ihr schlaft bei mir und fahrt morgen früh den Bus abholen.“
Eigentlich ein einfacher Plan, für mich jedoch eine komplette Überforderungssituation. Bereits am Donnerstagabend bin ich mehrfach in Heulkrämpfe ausgebrochen. Wie kommen wir jetzt nach Hamburg? Ist alles andere organisiert? Wie komme ich jetzt von dem Bahnhof weg, an dem ich gestrandet bin, weil ich erfolglos einen Freund besuchen wollte? Und was machen wir jetzt?? Das alles gepaart mit einer Erschöpfung aufgrund der letzten Wochen – keine gute Kombination. Kann ich den Van überhaupt fahren, wenn der so groß ist? Werden wir es zusammen aushalten? Bin ich fit genug zum Wandern? Finden wir gute Plätze zum Übernachten? Was, wenn wir eine Panne haben? Wie machen wir das mit dem Essen? Fragen über Fragen, die alle nicht wahnsinnig wichtig sind, aber zur Überforderung führten. Ich konnte kaum mehr klar denken. Dafür umso mehr weinen. Wie gut, dass ich mit meinem Bruder hier wohne, der hat das Problem dann ja gelöst. Zumindest das erste.
Nun war also meine Mutter da und ich stand unter Anspannung. Spontan heute schon fahren? Sie wollte doch nachmittags kommen. Wir wollten doch Samstag losfahren. Ich bin doch noch verabredet… Und will ich in Hamburg übernachten? Nein, eigentlich nicht. Der innere Widerstand wuchs. Mein schlechtes Gewissen auch, denn: Sie ist extra hierhergekommen, müsste ich ihr da nicht entgegenkommen? Also heute fahren? Aber ich kann nicht. Irgendetwas sperrt sich. In meinem Kopf hörte ich nur noch: „Lasst mich alle in Ruhe! Das ist mir zu viel! Ich will hier weg!!“ Zum Glück waren meine Mutter und mein Bruder recht entspannt und haben die Entscheidung mir überlassen. Samstagfrüh ging es also los.
Welcome Campervan
„Shit ist der Van groß! Wie soll ich den denn fahren?!“ Kurz steigt Panik in mir auf. Auch noch Automatik. Keine Ahnung, wie das nun wieder funktioniert. Aber es soll ja einfacher sein. Also mal gucken.
Nach einer längeren Übergabe – erstaunlich viele Kratzer am Auto waren noch nicht als Schäden registriert-, ging es dann endlich los nach Lübeck. 30 Minuten später auf der Autobahn hatte ich mich bereits an den Riesen gewöhnt. Es machte Spaß, wieder Auto zu fahren. Auf dem Weg in ein anderes Land zu sein. Nicht zu wissen, was kommt, aber dennoch Kontrolle darüber zu haben. Nicht zu wissen, was wir sehen werden und ob wir es überhaupt so lange miteinander aushalten. Allerdings machte ich mir da weniger Sorgen. Mit meinem Bruder wohne ich seit einem knappen Jahr zusammen ohne irgendwelche Schwierigkeiten und mit meiner Sis bin ich das Reisen gewöhnt.
Erste Herausforderung
In Lübeck kam direkt die erste Herausforderung: Den Riesen durch Straßen manövrieren, die eigentlich zu eng für dieses Auto sind. Aber wir hatten Glück und haben fast direkt vor der Haustür einen Parkplatz gefunden. Zwei Stunden später war alles im Auto verstaut und es ging weiter. Endlich wieder in Bewegung. Nach vorne. Irgendwohin. Ab in den Norden!
COME ON, PARTYPEOPLE, COME OOOOOOON!!
Anmerkung:
Text: Oktober 2022.
Fotos: September 2022©Kristine.