Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist schwarz, schließt sich unerbittlich um mein Herz, lässt die Welt um mich herum verblassen, lässt mich mich selbst und mein Leben hassen.
Ich spüre was, das du nicht spürst, für das ich keine Worte hab. Als würde ein wildgewordener Psychopath in meinem inneren wüten, mit Kettensägen um sich schlagen, Löcher in meine Eingeweide graben und tiefe Narben hinterlassen.
Ich höre was, was du nicht hörst und hoffentlich nie hören wirst, denn es zerstört mich von innen heraus. „Hör auf dir was vorzumache, keiner hält es je mit dir aus, wie auch, du mit deinen Stimmungsschwankungen, dauernder Erschöpfung und dem Balanceakt so nah am Abgrund – wie soll dich da jemand mögen? Hast du außerdem mal gesehen, wie du aussiehst? Sieh endlich ein, dass du auf dieser Welt nur dann für andere interessant bist, wenn du ihnen was bieten kannst.“
Ich fühle was, was du nicht fühlst – das hoffe ich zumindest. Als sei in mir ein Feuerwerk, das kurz vor der Explosion steht, in meinem Kopf ein Kettenkarussell, das sich dreht, mein Herz, das ein Wettrennen mit sich selbst veranstaltet, dabei anstatt zu erwärmen, eher erkaltet und Gleichgültigkeit durch meine Adern pumpt.
Ich schmecke was, was du nicht schmeckst – bitter, ekelerregend, Übelkeit steigt in mir auf, irgendwas will dringend raus aus mir doch bleibt im Hals stecken, um dort einfach nur zu sein und unerträglich zu schmecken.
Ich erinnere was, was du nicht erinnerst, etwas, durch das ich tagtäglich schlingere, das mich in die Vergangenheit zieht, dafür sorgt, dass die Gegenwart ohne mich an mir vorüber fließt und die Zukunft hoffnungslos aussieht oder einfach nur im Nebel untergeht.
Ich schäme mich, wie du dich nicht schämst, für alles und jeden, auch wenn es nichts mit mir zu tun hat – ich fühle mich verantwortlich und denke innerlich, dass ich die Schuld daran trage, dass es dir nicht gut geht und du manche Tage kaum erträgst.
Ich kämpfe einen Kampf, den du nicht kämpfst, gegen die Symptome, die keine Ruhe geben, mir meine Kraft rauben zum Leben, gegen die Erkrankungen, die ich oft als unbezwingbar erlebe, gegen die Welt, die ich nicht verstehe und manchmal auch gegen mich selbst, weil ich mir oft so fremd bin.
Ich kämpfe gegen Dämonen, die du hoffentlich nicht hast, die mich ständig in Schach halten, meinen Lebensmut in kalten Ketten festschnallen, mir ständig Vorwürfe in die Ohren schreien, mit geballten Energien sich darum bemühen, mich klein und verzweifelt am Boden liegend zu sehen.
Ich spüre was, was du nicht spürst, einen tiefen inneren Schmerz, weil du nicht mehr so in meinem Leben bist, wie ich es mir wünsche, weil du unerreichbar bist, obwohl wir doch zusammengehören.
Ich fühle was, was du nicht fühlst, das ist ein loderndes Feuer, das mich zerstört, mich innerlich verbrennen lässt, aus Hass, Ekel, Wut zusammengesetzt, heiß, glühend, Funken sprühend – doch kein Ausweg in Sicht, denn mich umgibt Taubheit und Dunkelheit, die das Feuer nicht durchdringen können.
Ich spüre nichts, bin leer, taub, kalt, wie ein leerer Raum, in dem dein Echo widerhallt, bis es im Nichts verschwindet.
Ich begeistere mich, wie du es nicht tust, bin 200% interessiert, im Neuen drin, doch nach kurzer Zeit macht es keinen Sinn mehr und ich will das alles nicht mehr und gebe auf.
Ich freue mich, wie du dich nicht freust, laut aufgeregt, interessiert und aufgedreht, ganz gleich, ob es etwas Großes oder Kleines ist, alles Positive ist gleichgewichtig und lohnt sich, sich aufrichtig zu freuen.
Ich tanze so, wie du nicht tanzt, ganz in mir selbst versunken und viel Distanz zu den Personen um mich herum, ruhend in mir, eins mit der Musik, dem Jetzt und Hier – alles andere existiert in diesem Moment nicht für mich.
Ich reagiere so, wie du nicht reagierst, schnell, unüberlegt, impulsiv und kreativ, rede, bevor ich zum Denken komme, kaufe was, bevor ich besonnen darüber nachdenke, ob ich es brauch, denn in diesem Augenblick weiß ich ganz genau, dass ich es unbedingt benötige – als sei es das Wichtigste, das ich je in meinem Leben besessen habe.
Ich singe, so wie du nicht singst, hörbar, manchmal schief und unverkennbar textunsicher, doch mit viel Spaß und Enthusiasmus – Hauptsache, ich höre meine Gedanken nicht mehr, das ist das Ziel, keine Stille mehr hier.
Ich gehe so, wie du nicht gehst, meine Füße hallen laut durch den Raum, dein „stampf doch nicht so“ höre ich kaum, denn ich will sicher gehen, dass man weiß, dass ich mich nähere, damit ich nicht in eine Situation stolpere, die so nicht für mich gedacht war – lautes Gehen stellt für mich ein Sicherheitskonzept dar.
Ich hab’ was, das du nicht hast, das ist ein Gefühl tief in meinem Inneren, das mich daran erinnern will, dass ich es ohnehin nicht schaffe, egal wie oft ich mich wieder aufraffe.
Ich habe was, was du nicht hast, das ist Angst vor dem Drag aufzugeben, mich aus diesem Spiel, aus diesem Leben zu nehmen.
Ich sehe was, was du nicht siehst. Das ist eine Person, die sich viel zu wenig selbst liebt, sich trotzdem sehr viel Mühe gibt, nicht aufzugeben, sondern irgendwann dieses Leben zu verstehen und so hinzunehmen, wie es eben ist, auch wenn sie irgendwie ein wenig anders ist.
Anmerkung:
Text: November 2023.
Foto: Bild “Augenblicke”, Acryl auf Leinwand, Dezember 2023.