Wege raus aus dem Dunkel
Ausschnitt Therapiesitzung
Ausschnitt Therapiesitzung

Ausschnitt Therapiesitzung

Konfrontation und Ehrlichkeit

„Frau Jäkel, kann ich mal etwas Allgemeines sagen? Sie befinden sich in der Vermeidung. Das Thema hatten wir die letzten Stunden schon häufig. Doch so kommen wir nicht weiter. Solange Sie in der Vermeidung stecken, stehen Sie still. Auf Standby quasi. Nicht ganz aus, aber vorwärts geht es eben auch nicht. Es geht also darum, sich der Vermeidung zu stellen. Das ist schwierig und das müssen Sie nicht von jetzt auf gleich machen. Wir tasten uns gemeinsam ran, wenn Sie das möchten. In Bezug auf Ihre Partnerschaft bedeutet das: Im Augenblick vermeiden Sie. Der Vermeidung begegnen würde bedeuten, dass Sie sich entscheiden. Ob für oder gegen die Partnerschaft, das bleibt Ihnen offen. Nur so, wie es jetzt gerade ist, kommen Sie nicht voran. Es mag sein, dass Sie so wenig spüren. Ihre Migräne, der Nebel im Kopf – das alles stellt eine Vermeidungshandlung Ihres Körpers da. Manchmal wird dieses unbewusste Verhalten auch als distanzierter Beschützer beschrieben. Beschützer weshalb? Es soll Sie vor den Emotionen schützen, die kämen, wenn er nicht da wäre. Und um Emotionen und den Umgang damit wird es gehen. Denn egal für welche Richtung Sie sich entscheiden: Beide sind scheisse. Beide werden intensive Gefühle hervorrufen. Beide werden Ihren strafenden und fordernden Anteil lauter werden lassen. Beides wird schwierig und anstrengend. Aber wenn Sie diesen Weg nicht gehen, dann bleiben Sie stecken. Und ich bin mir sicher, dass es Ihnen auch eine Richtung geben wird, wenn Sie sich der Vermeidung stellen. Wenn Sie einen Weg einschlagen. Die Gefühle werden leichter zu ertragen werden und der distanzierte Beschützer kann sich irgendwann verabschieden. Das sorgt für mehr Klarheit bei Ihnen und kann dazu führen, dass Sie sehen, wo Sie hinwollen. Erkennen können, wofür es sich lohnt weiter zu gehen. Verstehen Sie, was ich meine?“

Reaktion: Fordernder und strafender Anteil

Ich starre vor mich hin, spiele an meiner Jacke herum und in mir werden Stimmen laut: Aha, ich wusste es doch. Ich strenge mich nicht genug an. Es ist alles meine Schuld. ICH BIN SCHULD!! Haben ja doch alle Recht. Wenn ich nicht vermeiden würde, würde es mir viel besser gehen. Vermeide ich mit der Arbeit auch? Also ist es meine Schuld, dass es nicht besser wird? Nur wofür das alles? Ich bin überfordert! Ich weiß nicht was ich tun soll. Was soll der scheiss hier? Jetzt macht er mir auch noch Druck. Nein Stopp, das will er natürlich nicht. Es ist nur eine Tatsache, die er mir verdeutlichen möchte. Die Schuldgefühle sind der fordernde Anteil. Das hat er nicht gemeint… Oder?

Was fühlen Sie?

„Frau Jäkel, was fühlen Sie gerade?“ „Überforderung. Und Schuldgefühle, weil meine innere Stimme mir sagt, dass ich mich nicht genug anstrenge und selbst schuld bin. Schuld an allem. An der Situation. An dem Nichtvorankommen. An allem eben.“ „Das verstehe ich und es ist sehr verständlich, dass das bei Ihnen kommt. Aber das habe ich so nicht gemeint. Es geht nicht um Schuldzuweisungen oder Vorwürfe in irgendeiner Art. Es geht nur darum einen Weg zu finden, um weiter zu gehen. Damit es Ihnen besser geht. Sie tun, was Sie können. Vergessen Sie das nicht. Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man an ihm zieht.“

Dysfunktionale Stimmen

Ja, das verstehe ich. Also in der Theorie. Ich kämpfe hart damit, mich von den dysfunktionalen Stimmen abzugrenzen, die mir etwas anderes einreden wollen. Denn irgendwo weiß ich, dass mein Therapeut nicht gegen mich ist, sondern mit mir arbeiten möchte. Dennoch, oder vielmehr gerade deswegen, muss er natürlich auch Probleme direkt ansprechen, damit sie sichtbar gemacht werden. Damit man mit ihnen arbeiten kann. Damit ich mit ihnen arbeiten kann. Wenn ich denn möchte. Das ist eine gute Frage denke ich und werde traurig.

Was fühlen Sie?

„Was fühlen Sie jetzt, Frau Jäkel?“ „Trauer. Trauer und Angst. Weil ich nicht weiß, wie ich es schaffen soll. Und ob ich es will. In mir drin ist ein krasser Widerstand. Er blockiert mein Gehirn. Lässt Nebel auftauchen. Schwindel. Daneben Trauer. Trauer, weil ich es doch wollen müsste. Aber es nicht will. Ich kann und will nicht mehr. Weiß nicht wofür. Trauer, weil ich mich meinen Beziehungsproblemen nicht stellen möchte. Nicht weiß wie. Weil mir das Angst macht und ich in beide Richtungen nicht gehen will. Ich will einfach nur Ruhe. Weiß nicht weiter.“

Kommunikation ist wichtig

„Das ist verständlich. Gut, dass Sie das kommunizieren. Sie müssen auch nichts tun. Das ist Ihre Entscheidung. Und wenn Sie etwas tun möchten, dann erarbeiten wir das zusammen. Es geht nicht darum, dass Sie sofort sämtliche Vermeidungsstrategien aufgeben. Dann kommen Sie in die Panikzone und damit ist Ihnen nicht geholfen. Es geht vielmehr darum, ab und an mal raus zu kommen aus der Vermeidung. Zu gucken, wie es außerhalb der Vermeidungszone aussieht. Um dann auch mal wieder zurück zu kehren für eine kurze Zeit. Und nach einer Weile, gehen Sie wieder ein kleines Stück raus. Immer soweit, wie es möglich ist, ohne in die Panikzone zu geraten. Langsam, aber kontinuierlich. Bis die Vermeidung weniger wird, der gesunde Anteil in Ihnen stärker. Dann wird es Ihnen besser gehen und Sie werden auch eher wissen, wo der Weg hingehen soll.“

Frust

„Wirklich?! Das kann ich kaum glauben. Gucken Sie doch nur, wie es gerade im Praktikum läuft. Sieht das so aus, als würde da irgendetwas besser werden?! Bringt das was?! Sehe ich nicht so. Oder blockiere ich mich da wieder selbst? Denn wenn es klappen würde hieße es ja, ich müsste weiter machen und mehr arbeiten und der Druck würde wachsen, also geht es gar nicht erst?! Doch wie komme ich dann da raus? Ist das Vermeidung? Oder ist es keine Vermeidung, weil ich mit dem Praktikum ja stelle? Mich bemühe? Bin ich andauernd krank, weil sich in mir etwas weigert? Oder stelle ich mich nur an?!“

Sie tun alles, was Sie können

„Natürlich kann es sein, dass es so ist. Aber Sie probieren es immerhin und mehr können Sie nicht machen. Sie haben die Kontrolle und die Entscheidung, auch wenn es sich gerade nicht so anfühlen mag. Sie können entscheiden, wie wir weiter machen. Ob Sie weitergehen wollen. Welche Schritte Sie tun möchten. Sie müssen gar nichts. SIE haben die Kontrolle und SIE haben die Verantwortung für ihre Entscheidungen.“

Verantwortung? Vertrauen?

Mein Magen verkrampft sich, ich bin keine 30 mehr, sondern ein kleines Kind. Verantwortung? Allein bei dem Gedanken wird mir schlecht und alles sperrt sich. Doch ich weiß, es ist „nur“ ein Anteil an mir. Der Anteil, der berechtigterweise überfordert ist. Doch der erwachsene Anteil in mir darf jetzt übernehmen. Denn er kann handeln. Sagt mein Therapeut. Und die anderen Therapeuten auch. Also sollte ich denen wohl Glauben schenken. Wenn ich mir schon nicht glaube und vertraue, dann vielleicht zumindest den Menschen, die mir helfen wollen und sich auskennen.

Ruhe

Ich atme tief ein und aus. Das muss ich jetzt erst einmal alles sacken lassen. Zum Glück ist die Stunde vorbei, denke ich. Ein wenig Ruhe. Bis zum nächsten Mal.

Anmerkung:
Text: Mai 2022.
Foto:

2 Kommentare

  1. Rosi

    Hallo

    Es ist jetzt schon 3:32 Uhr.
    Mein Körper braucht Schlaf.
    Ich denke, bitte Zeit bleib stehn.
    Was willst du von mir?
    Du nagst an mir, wer hat dir das erlaubt?Was willst du mir sagen?
    Auf deinem Rücken dein Gepäck.
    Ein großes Paket , mit einer alten, verotteten zerschlissenen schwarzen Schleife.
    Und die Kassette dort drinne, mit immer dem gleichen Film.

    Ich will und kann ihn mir nicht mehr ansehen Zeit.
    Er ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.

    Da gibt es einen Anfang , den seh ich immer.
    Die Zwischenzeit liegt im Nebel.
    Und das Ende will ich nicht wissen.

    Eine Überraschung Zeit??
    Dein ernst?
    Lass dir bitte mal was anderes einfallen.

    Du kannst an mir nagen wie du willst…wenn meine Zeit gekommen ist , bestimme ich selber.

    Du bist nicht mein

    Danke für deinen interessanten Einblick.
    Lg Rosi

    Ich habe dieses Päkchen schon soo oft gesehen.
    Das sind deine Überraschungen für mich drinn für die kommenden Stunden sagst du mit einem hämischen Lächeln.
    Zeit!
    Warum hast du eigentlich Macht über mich?
    Ich weis doch was in dem Päkchen ist.

    Du bringst mir seit 56 Jahren immer das gleiche Päkchen.
    Wo ist denn da die Überraschung für mich?

    Alles ist vermeidlich ruhig.Der Drache in mir schlummert nur leicht.

    Und jetzt bin ich hier gelandet, müde vom stöbern im außen, um nicht nichts zu spüren, in der Stille.

    1. Hey, schöner, gleichzeitig trauriger Text. Es ist anstrengend, wenn man sich so unruhig fühlt – komplett kaputt und gleichzeitig zu angespannt zum Schlafen. Das tut mir Leid zu hören. Ich wünsche dir alles Gute!

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