Wege raus aus dem Dunkel
Beziehungen
Beziehungen

Beziehungen

Auftritt im BlueShell Köln. The word is not enough Poetry Slam. September 2023.

Aufnahme: Sarah Weyrauch

BEZIEHUNGEN

Beziehungen. Laut Duden ist eine Beziehung ein Kontakt zwischen Einzelnen oder Gruppen. Das bedeutet, dass sich quasi alle Verbindungen als Beziehungen entpuppen und dennoch ist Beziehung irgendwie ein spezielles Wort. Sage ich „Ich habe eine Beziehung“, so kommt sofort: Ach, wie lange seid ihr schon fest zusammen? Wann hast du es beendet, das mit der anderen? Gar nicht, denke ich dann. Gefolgt von „Wann bitte hat es in der Gesellschaft angefangen, dass eine Beziehung gleichzusetzen ist mit einer monogamen Partnerschaft? Denn wie der Duden mir verrät, setzt eine Beziehung weder Exklusivität voraus, noch ein Zweiergespann – vielmehr werden explizit auch Gruppen genannt und zu der Qualität der Beziehung wird gar nichts gesagt, was absolut seine Richtigkeit hat, denn diese ist komplex und divers.  Bei jeder Person spielen Beziehungen eine Rolle, ob bestehende oder fehlende.

Deutlich wird das auch im Internet, „toxische Beziehungsmuster“ sind gerade überall hipp, rote Flaggen, die kaum verschwinden, Warnzeichen, wohin man blickt. „Beziehungsdynamik“ erzielt viele Klicks, der Coach auf Instagram hat den passenden Trick, um dich aus toxischen Beziehungen zu befreien. „Toxisch“ ist dabei pauschal sehr oft einfach alles, was dich unglücklich macht. Zusätzlich werden mit fehlender Kompetenz gepaart mit viel Vehemenz Theorien durch vermeintliche psychiatrische Diagnosen gestützt.

Dabei wird leider oft übersehen, dass es bei dem Wort Beziehungen, um wechselseitige Dynamiken geht. Ja, vielleicht war dein Partner ein Narzist, doch frag dich mal, warum du gerade in dieser Beziehung gelandet bist? „Victimblaming“, höre ich dich sofort rufen, „du kannst die Schuld doch nicht bei mir suchen?!“ Nein, das tue ich auch nicht. Doch egal wie schädlich dein Partner auch ist, dass du dich nicht befreien kannst, liegt schlicht und einfach meist daran, dass du in eigenen Mustern feststeckst. Das bedeutet weder, es ist leicht sich zu befreien, nein, sogar im Gegenteil, es ist arbeitsreich und unfassbar schwer. Aber nur wenn ich mich selbst betrachte und mich frage, was sind meine Muster, die ich – oft in der Kindheit – erlernt habe und wie kann ich sie ändern und verbessern? Wenn ich mir meine Beziehung angucke, ohne sie zu verwässern, mich hinterfrage, unbequeme Antworten ertrage, mich durch Arbeit an mir selbst und Selbstreflexion neu entdecke, meine Bedürfnisse aufwecke und hingucke, dann und nur dann  kann ich die Hürde nehmen und hin zu gesünderen Beziehungen gelangen.  Neue Wege sind unbekannt und unbequem, nicht zu kontrollieren und es ist nicht abzusehen, wo man landen wird. Vieles wird sich zunächst merkwürdig anfühlen, ungewohnt und vielleicht Angst auslösen, Angst vor dem, was kommt. Viel leichter ist es dagegen, immer wieder den alten Weg zu gehen, sich wohl zu fühlen, auch wenn es schädlich ist, nicht zu hinterfragen, welchen Anteil trage ich, sondern den Schuldigen im Gegenüber finden. Neue Wege bedeuten Mut, etwas zu tun, das auf lange Sicht gut tut und nicht nur kurzfristig ein Bedürfnis befriedigt.

Neue Wege können Freiheit bedeuten, sich nicht selbst einzuengen, sondern mit wachen Augen sich die Schönheit anzuschauen, die das Leben zu bieten hat. Ich persönlich habe Beziehungen zu und mit vielen, zu jeder Person mit andere Gefühlen, denn jede Person ist individuell. Meine Geschwister liebe ich geschwisterlich, meine Freunde liebe ich freundschaftlich und manchmal vielleicht auch mehr. Zu meinem Partner habe ich romantische Gefühle, für meinen besten Freund empfinde ich tiefe Liebe, aber eben nicht romantisch. Jede Beziehung ist besonders und ganz speziell und so, wie sie eben ist.

Und dennoch, mich prägt die gesellschaftliche Norm die sagt, eine Beziehung in partnerschaftlicher Form habe stets zu einer Person und monogam zu sein. Dieses Konzept schränkt mich unfassbar ein, funktioniert für mich nicht und, ganz ehrlich, ist etwas, dass sich mir nicht erschließt, denn wenn ich doch Liebe für so viele spür‘, wieso sind mehrere Partner dann verkehrt? Und wenn ich zwar nur eine Partnerin habe, aber dennoch gerne mit anderen schlafe – wieso sollte das nicht möglich sein? Wieso kann ich nicht leben wie ich will, in Ruhe und still – losgelöst von gesellschaftlicher Kritik. Ich bedrohe dich doch nicht, nur weil ich ein anderes Konzept lebe. Das ist etwas, was ich wirklich nicht verstehe – ich nehme dir doch nichts weg, nur weil ich glücklich bin, nur weil ich Beziehungen zu mehreren habe, viele liebe und für mich nicht exklusiv lebe – du hast doch damit nichts zu tun?

Ich kann mir deinen Unmut nur damit erklären, dass Andersartigkeit vielleicht deinen Gedankenfluss anregt und dich dazu bewegt, dein eigenes Lebenskonzept zu hinterfragen. Vielleicht ist das etwas, was du nicht willst, weil du weißt, du kannst du die Antwort darauf nicht ertragen und Selbstreflektion und Veränderung machen dir Angst. Da ist es selbstverständlich leichter den Finger zu heben, sich umzugucken und jemandem die Schuld zu geben, der anders ist.

Mir ist das mittlerweile egal. Ich fange an im Kleinen mich mit Menschen zu umgeben, die ähnliche Ansichten und Werte wie ich haben und Offenheit, Freiheit, Gemeinsamkeit und Liebe feiern und leben, sich nichts wegnehmen, sondern sich sehr viel geben, sodass jede:r ein Stück glücklicher ist, ob das nun monogam, offen, poly oder was ganz anderes ist– das ist für mich irrelevant, solange die Person sich bewusst dafür entscheidet und sich mit ihren Beziehungsmenschen einigt.

Ich hoffe wir werden irgendwann in einer Welt leben, in dem das das gemeinsame über Bedürfnisse reden und Beziehungen nach Konsens eingehen Priorität hat, nicht das, was momentan in der Gesellschaft seine „Richtigkeit“ hat, ganz egal, ob es zu dir passt oder nicht.

Anmerkung:
Text: September 2023. Gedanken rund um das Thema Beziehungen.
Foto: September 2023.

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