Wege raus aus dem Dunkel
Wenn die Sicht verschwommen ist
Wenn die Sicht verschwommen ist

Wenn die Sicht verschwommen ist

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Alles verschwimmt, ich fühle mich blind, denn ich kann kaum was sehen. Tage und Wochen, Sekunden und Stunden, Realität und Traum verschmelzen, ich merke es kaum, und doch: mitten drin stehe ich.
Stehe ich und versuche irgendwas zu sehen, unaufhörlich. Versuche, Formen zu erkennen, wo nur Schatten sind, das Verschwommene zu benennen, das vor mir zerrinnt, Gedanken zu entknoten, die nicht entzerrt werden wollen, Emotionen zu spüren und hervor zu holen, doch scheint alle Müh‘ verloren, denn nur der Nebel ist das, was deutlicher wird, sich auf mich stürzt und unter sich begräbt.
Begraben sitze ich hier, bin verwirrt und stecke fest. Stecke fest in einem Zustand, den ich nicht beschreiben und noch weniger ertragen oder ändern kann, doch zeige es nach außen nicht.
Nach Außen wahre ich mein Gesicht, bin Erwachsen und nicht jung, wie in mir drin. Denn, innerlich bin ich keine Frau, sondern, soviel weiß ich genau, ein kleines Kind. Ein kleines Mädchen, das nicht versteht, weshalb sich die Welt weiterdreht, obwohl sie doch gerade erst zusammenbrach.
Eine Welt, in der keiner hält, was er versprach und niemand sie versteht. Eine Welt, in der sich keiner zu ihr dreht, sie an der Hand nimmt oder sogar sieht, wie es ihr wirklich geht, unter all dem Lachen.  Eine Welt, in der sich jeder kümmert um seine eigenen Sachen, zu beschäftigt um auszumachen, wie sie kämpft, jeden Tag.
Sich bemüht und nicht beklagt, denn dafür ist kein Raum. Kein Raum, in dem sie sein darf mit allem, was sie fühlt und ist, nein, leichter wird‘s, wenn sie alles herunter spült. Herunter spült und fröhlich ist. Froh und – natürlich – auch noch heiter. Leichter geht es weiter, wenn sich der Nebel über sie legt, das Gedächtnis mit vielen Lücken versieht, sodass die Erinnerungen alle gelöscht werden und fehlen. Erinnerungen, die waren und jetzt im Nebel verborgen liegen, Emotionen die oft sehr viel wiegen und Taubheit, die bloß schützen will. Schützen vor – vermeintlich – schlimmen Sachen, die mit einem Kind extrem viel machen, wenn niemand dabei hilft.
Dabei hilft es zu verstehen, sie unterstützt zu sehen, dass Emotionen nicht der Feind sind. Dass Emotionen sie nicht zerstören, man kann ihnen sogar zuhören und sie tun ihr nichts, auch wenn sie schmerzen.

Doch, was fange ich mit dem Wissen an, wenn ich es weder glauben noch fühlen kann? Wenn ich innerlich nicht erwachsen bin, mich frage nach dem tieferen Sinn und dabei unsicher bin, ob ich die Emotionen wohl ertrage? Wenn ich Angst habe, dass die Taubheit geht, denn, was erwartet mich dann, wie sieht er aus, der Weg? Ist es etwas, was ich verarbeiten kann oder will ich es nicht wissen? Nur so, wie es ist, funktioniert es nicht, mir geht’s beschissen, denn jeder Tag ist ein Kampf.
Ein Kampf um’s Überleben, der Versuch, meinen Gedanken nicht zu viel Raum zu geben, ein Kampf gegen Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit, ein Kampf für das Kind in mir, und auch für die Frau im jetzt und hier, die die Situation als einzige begreift und eigentlich jetzt hier sein sollte.

Doch, selbst wenn sie’s wollte, so hilft das nicht, denn sie hat verschwommene Sicht und versteht dadurch nicht, was gesehen werden will. Sie  hört dem Kind zu, ganz still, doch es verharrt in sprachloser Starre. Und auch, wenn ich ganz ruhig verharre, so ist es gefangen. Gefangen in sich selbst, geschützt vom Nebel doch mit viel Angst, denn Schmerz und Trauer liegen auf der Lauer und warten darauf es zu erobern, ihr kleines Herz. Und ich, ich versuche es zuzulassen, einen Raum für sie und uns zu schaffen, wo alles sein darf und sein kann. Nur weiß ich eben absolut nicht, wie genau fang ich das an, Hilflosigkeit, die mich erstarren lässt. Es fühlt sich so an, stelle ich fest, als hätte man mir die Fähigkeit genommen das Leben selbst zu steuern. Unsicher fange ich langsam an, meine Ressourcen zu erneuern, doch, es ist wie immer: alles verschwimmt und ich, ich bin das kleine Kind, das nicht weiß, wie man Verantwortung für sich selbst übernimmt, während die Zeit einfach so weiter sinnlos verrinnt.

Anmerkungen:
Text: Februar 2023.
Foto: Dissoziation, 2022 by Kristine.

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