Blick nach unten, das Display blau weiß hell, die Bilder ziehen an meinen Augen vorbei, eindeutig viel zu schnell – so kann ich doch nichts erkennen? Egal, denk ich, es reicht dicke aus, um die Fehler zu benennen, die mir direkt entgegen springen, dafür brauche ich nicht mal eine Sekunde.
Keine Sekunde und schon wisch ich nach links. Nach links ohne wirklich zu wissen, wer du bist und ob du vielleicht zu mir passt. Doch, was soll ich sagen, nach links, weil du eben einen Makel hast, wie zu langes Haar, oder zu kurzes, falsche Nase, verkehrte Größe, merkwürdiges Foto, zu schlank oder zu dick – was es auch ist, ich find’s auf den ersten Blick. Klick, klick, weiter geht es.
Ist das nicht absolut wunderbar, wenn man gemütlich auf dem Sofa sitzt, Handy in der Hand und vielleicht leicht beschwippst – perfekte Ausgangslage, um Fremde zu bewerten, zu lachen und sie zu beantworten die Frage: Du bist dreizig?
Mein Lieber, das sieht man auch ohne Brillengestell, aber du scheinst nicht wirklich hell, hast dich wohl um 10 Jahre vertan, da hilft auch nicht dein dichtes Haar, das sich dunkel und lang über deine Schultern wellt.
Zack, der nächste wandert nach links, der danach auch – NEIN, Mist, was’n Scheiß, die war doch mal total nice, komm wieder zurück, verkehrte Richtung, doch, sie ist im Nichts versunken.
Uh, warte, er sieht gut aus, komm dich nehm‘ ich hier mal raus, du kommst direkt nach rechts – Pling, schon gematcht, Panik bricht aus, denn was tue ich nun? Kurzschlussreaktiv einfach die App schließen, Handy unter das Kissen schieben und beschäftigt mein Glas bestaunen, denn, kann ich meiner Wahrnehmung noch trauen nachdem ich gefühlt 1000 Gesichter gesehen habe?
Wie einkaufen, schießt es mir in den Kopf, das ist doch irgendwie bekloppt und komplett degradierend. Wie einkaufen, wenn du am Anfang noch schaust, dass es was hübsches wird, was du dir kaufst, nur um am Ende irgendwas zu nehmen, um endlich die Tortur zu beenden und dich auf den Weg nach Haus zu bequemen.
Irgendwas, egal ob’s passt, denn du redest dir ein, dass es schon klappt und sich irgendwie an deinen Körper schmiegt. Die Schuhe zu eng? Naja, die dehnen sich, die Hose zu spack? Ach, wen stört’s wenn’s n bisschen zwackt, ein bisschen bewegen, ist n Klax, dann wird es schon irgendwie gehen. Zu stark ist das sich nach Hause sehnen.
Nach Hause und auf die Couch, dort das Handy raus und Hingabe zur Ablenkung – in Form einer Musterung: Ein Gesicht nach dem anderen zieht an dir vorbei. Oder wie online-shopping, denn da ist es einerlei, was du in Warenkorb packst, du denkst dir, irgendwas ist schon dabei, was halbwegs passt.
Ok, genug versteckt, denk ich, Telefon raus und App gecheckt, dem Match was kreatives geschrieben: Na, was hast du den ganzen Tag getrieben? Tja, das weiß ich bis heute nicht, denn die Antwort bist du mir schuldig geblieben.
Erst red‘ ich‘s mir schön, du hast es bestimmt noch nicht gesehen, doch die Wahrheit ist so kurz wie brutal: Match gelöscht, ist wohl nicht passend gewesen, nicht ideal.
Was für eine Farce diese Oberflächlichkeit, heiße Wut und Frust machen sich breit, denn, was soll das hier bringen? Was will ich erreichen, welche Bedürfnisbefriedigung erzwingen?
Hey, denk ich, ich hab‘ ne Idee, einfach so viele liken, wie ich seh‘, und nicht mehr auf Fehler achten. Kluger Gedanke? Das bleibt zu bezweifeln, doch keine Chance es auszureizen, denn die Entwickler sind ja nicht dumm und nutzen den Frust und die Verzweiflung, um Geld zu verdienen. Du hast keine Likes mehr, das ist kein Problem: Hier kannst du weitere haben, die Kosten wirst du ja wohl hinnehmen, immerhin geht es um die große Liebe.
So, das war’s denk ich gereizt, schreie mein Handy an, das war’s mit dem Scheiß, alle Apps gelöscht, meine Daten auch, ich gehe lieber wieder raus und lerne Menschen live irgendwo kennen, ohne ihre Fehler anhand eines Bildes zu benennen und spreche mit ihnen von Angesicht zu Angesicht.
Ob das was bringt? Ich weiß es nicht, aber Bumble, Tinder oder her – das reicht mir mit den Apps, für immer – sage ich laut und ignoriere geflissentlich die Stimme in mir die leise zu mir spricht.
Leise und voller Hohn: Für Immer? Na, mal gucken, wie lang es dies Mal ist, das kennen wir ja schon. Die Verzweiflung wird wachsen, die Versuchung zu groß und schon wirst du hier wieder sitzen, mit dem Handy im Schoß und ein Gesicht nach dem anderen anstarren.
Anstarren und nach Fehlern abscannen, in irgendwem das perfekte Match erkennen und so lange ner Illusion hinterherrennen, bis der Frust nicht mehr zu ignorieren ist, du wütend alle Apps zum 100ten Mal löschst und wieder alleine auf der Couch sitzt – müde, erschöpft und leicht beschwippst.
Anmerkung:
Text: April 2023, persönliche und fremde Erfahrungen vereint.
Foto: März 2023.