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In meiner jetzigen Lage stelle ich mir die Frage: Ist es Liebe oder doch Angst vor Verlust, die mich bei dir bleiben lässt? Nach einer Weile stelle fest, dass ich es absolut nicht weiß.
Ist es Liebe, wenn ich es hasse, wie du manchmal sprichst, aber die Art mag, wie du samstags zu mir bist? Ist es Liebe, wenn ich das grüne T-Shirt hässlich finde, mir aber dafür deinen Kaputzenpulli gerne umbinde? Ist es Liebe, wenn ich allein sein will, nur um festzustellen, alleine ist die Wohnung viel zu still? Ist es Liebe, wenn ich gern Sex mit dir habe, aber die Nähe und das Kuscheln nicht ertrage? Ist es Liebe, wenn ich es genieße wie du in mich eindringst, irgendwas in mir mich aber auch in andere Arme zwingt? Ist es Liebe, wenn ich über deine Witze lache, innerlich jedoch woanders bin, bei ’ner anderen Sache?
Ist es Liebe oder doch Angst, wenn ich nicht sage, was ich denke, sondern deine Aufmerksamkeit schnell woanders hinlenke? Ist es Liebe, wenn ich bei dir nicht schlafen kann, doch wünschte, du hieltest mich im Arm? Ist es Liebe, wenn ich bei dir bleibe, nur damit ich nicht mehr ziellos vor mich hintreibe? Ist es Liebe, wenn mein Herz laut schlägt, wenn ich dich seh‘, oder Angst, weil du mir den Rücken zudrehst? Ist es Liebe, wenn Schmetterlinge im Bauch Purzelbäume schlagen oder Angst, die Ruhe nicht zu ertragen? Ist es Liebe, wenn ich deine Meinung hasse sie aber dennoch irgendwo zulasse? Ist es Liebe, wenn Eifersucht mich komplett erdrückt, sobald du nur dein Handy zückst?
Fragen über Fragen, Antworten kaum zu ertragen und neben all dem gibt es ja auch noch die Freundschaft. Ja, Freundschaft und ich frage mich, was unterscheidet ihre Liebe von der einer Partnerschaft eigentlich? Denn für mich ist schon immer klar – Freundschaft geht vor, ist das sonderbar? Geht vor, wenn ich mich entscheiden muss, denn meine Freunde liebe ich im Überfluss, bei ihnen fühle ich mich sicher. „Liebe ich?“, fragst du, hörst mir aufmerksam zu und denkst, was redet die für’n Scheiß. Es sieht so aus, als ob sie nicht weiß, dass man bei Liebe von etwas Besonderem spricht und sie für ‘ne Partnerschaft reserviert ist?
Ich, ich höre deinen Gedanken zu und muss lachen, denn sind nicht genau das die Sachen, die uns jeder einreden will? Ist der Begriff Liebe nicht vielleicht verkehrt definiert? Definitiv zu starr in uns‘re Köpfe indoktriniert. Der Begriff, der vorgibt alles zu sein und dennoch starr ist und viel zu klein, auf der anderen Seite viel zu groß, denn ohne ihn, was ist dann bloß? Strebt nicht jeder nur zur Liebe hin, ist Liebe nicht des Lebens Sinn? Doch nur die Liebe zu einer Person, alles andere ist merkwürdig, obschon ich das absolut nicht verstehe. Denn wenn man mich fragt, so ist klar, dass man viele Personen gleichzeitig lieben kann, alles andere ist zu starr. Mehrere lieben ist kein Problem, wenn man das Wort richtig versteht, sich öffnet und nicht feststeckt in zu starren Strukturen. Denn wie gesagt, liebe ich meine Freunde und auch Geschwister sehr und das geht natürlich mit mehreren Personen einher, alles andere, macht für mich keinen Sinn. Du sagst direkt, ach komm schon, das ist doch was völlig anderes, es geht um romantische Liebe, nicht irgendwas Fantasiehaftes, was sich in deinem Kopf abspielt.
Wie bitte, denk ich, das kann ja wohl nicht sein, willst du jetzt auch noch Herr meiner Gedanken sein? Und dennoch schleichen sich Zweifel ein. Denn ja, romantische Liebe und Freundschaft können wohl nicht dasselbe sein? Doch das ist mir klar, immerhin gibt es dafür zwei Worte, auch wenn ich sie an ähnlicher Stelle verorte. Nur ist es nicht die Liebe in Freundschaft, die ich hinterfrage, sondern der Begriff Liebe in ’ner Partnerschaft, der mir schlaflose Nächte macht, weil ich ihn nicht verstehe. Denn meine Freunde liebe ich, wünsche ihnen Glück und selbstverständlich nur das Beste, ohne eifersüchtig zu sein, wenn sie bei wem anderes sind, denn mein Herz versteht, dass man mehrere Freunde haben kann. Das sollte doch wahre Liebe sein, nicht, dass ich zu Hause sitze und wein‘, weil Eifersucht mir den Atem nimmt. Den Atem nimmt und den Hals zuschnürt, weil irgendwas in mir fühlt, verlassen zu werden. Verlassen zu werden ohne Grund, denn Anzeichen gibt es nicht und eigentlich ist mir das klar. Klar, dass es übertrieben ist, dich festhalten zu wollen, egal wo du bist und alles kontrollieren zu wollen, nur um dich nicht zu verlieren.
Das ist doch keine Liebe, sondern bloß Verlustangst? Angst vor Verlust, das ist genau das Problem, kannst du es denn nicht sehen? Das Problem das mich blockiert in ’ner Partnerschaft, was dazu führt, dass ich nicht mehr bin ich selbst, weil ich mich komplett verliere, mich einfach nur anpasse an dich. Anpasse aus Angst, du siehst mich wirklich, denn das – das weiß ich natürlich – wäre der absolute Supergau, führt zur Trennung, auch das weiß ich genau, denn mich, kannst du so nicht lieben. Denn das lernte ich schon ganz klein, wenn ich ich bin, lassen mich Leute allein und gehen.
So höre ich auf mich selbst zu spüren, lasse die Verlustangst das Ruder übernehmen und gebe mich ihr einfach hin. Gebe mich ihr hin, schließe die Augen, um den Anblick zu vermeiden, wie sie die Kontrolle übernimmt über mich, die Beziehung so langsam schädigt und was sie aus mir macht. Lässt mich aufwachen mitten in der Nacht, verschwitzt und in Panik, desorientiert vom Albtraum, voller Grauen, Zweifel, Hass und Ekel. „Sieh mich an!“, will ich dann rufen, „Sieh wer ich wirklich bin!“, denn die, die du kennst, ist eine andere Frau. Eine Frau, die es versteht ganz genau zu überlegen, was sie zeigen will und was nicht, denn innerlich bin ich zerrissen und frage mich, wie soll ich dir vertrauen?! Wie soll ich dir vertrauen, etwas Stabiles mit dir aufbauen, wenn ich jedes Mal abhau‘, weil ich nicht mal mir selbst vertrau?
Abhaue, weil beide – mein Selbstwert, der fehlt, gepaart mit Verlustangst, die sich immer beschwert – mir andauernd erzählen, dass man mich nicht mögen kann, denn wer kann schon ‚ne Frau lieben, die von Wahnsinn wird getrieben und sich selbst nicht leiden kann? Nicht leiden kann, weil sie nicht versteht, was in ihrem Kopf den ganzen Tag vorgeht – mit ihrem Körper fange ich gar nicht erst an. Nicht leiden, weil sie sich fremdgesteuert fühlt, von ihren Erkrankungen kontrolliert und trotz Kampf oft gegen sie verliert? Nicht leiden, weil sie nicht versteht, weshalb sie immer Partnerschaften eingeht, obwohl sie alleine zufriedener ist? Zufriedener und frei, denn dann ist es einerlei, wenn die Impulsivität das Ruder übernimmt, die Dissoziation den Bezug zur Realitität wegnimmt und der Nebel das Denken und Fühlen stark dimmt. Wenn das Laute und Flippige rauskommt und seinen Platz einnimmt, die Emotionen wahllos hin und her springen, sie pendelt zwischen heulen und singen und dysfunktionalem Verhalten. Frei, denn es ist einerlei mit wem sie schläft oder auch nicht – immerhin betrügt sie so nicht. Anders ist’s in ’ner Partnerschaft, wo kein anderer einen Platz hat, denn sowas darf es nicht geben, sagt das höchste Gebot beim Monogamleben. Doch was, wenn dein innerer Drang dich überwältigt, du dagegen ankämpfst doch letztendlich mit wem anderes schläfst, dann darfst du es auf keinen Fall sagen, denn sowas gehört sich nun wirklich nicht. Also schaltest du innerlich ab, versucht dich nicht zu spüren, nur um diese Normen zu erfüllen, die unsere Gesellschaft ebenso hat.
Deswegen Freunde – denen ist das egal, für die ist es keine Qual, sondern sie nehmen dich so wie du bist. Kennen dich besser, weil du ehrlicher bist, dich komplett zeigst, mit deinem ganzen Chaos, du fühlst dich sicher und lässt los. Sicher, weil du weißt, dass dir nichts passieren kann, denn die Verlustangst ist leiser oder auch gar nicht vorhanden, denn gute Freundschaften sind über lange Zeit entstanden und im besten Falle sehr stabil. Stabil, bis sie es eben nicht mehr sind, doch ganz bestimmt stabiler, als jede feste Partnerschaft, in denen immer einer die Macht hat und einer irgendwo verloren geht.
Doch wenn all das mir im Wege steht, frage ich noch mal: Ist es Liebe oder Verlustangst, die mich bindet und kannst du das unterscheiden? Ich weiß, ich kann bei dir nicht bleiben, denn das zerstört mich Stück für Stück. Ja, vielleicht bin ich verrückt, doch das gehört zu mir. Ist es Liebe oder Angst vor Verlust, wenn ich denke, ich muss mich trennen, aber tue es nicht? Tue es nicht, denn du bist eine wundervolle Person und wer verletzt tolle Menschen schon. Ist es Liebe oder Angst, wenn ich mich nicht trenne aber innerlich verbrenne? Wenn ich nicht bei dir sein will, doch ohne dich ist es mir zu still? Ist es Liebe oder die Angst vor Verlust? Zumindest die letzten Fragen, so wird mir bewusst, sind einfach zu beantworten. Einfach zu beantworten im Nachhinein, denn mitten drin, das räume ich ein, ist es oft nicht leicht zu sehen. Doch vielleicht ist es auch nicht die richtige Frage, nicht die, an der ich wirklich nage, sondern nur Ablenkung? So gehe ich den Dingen nicht auf den Grund, es wird Zeit das Richtige zu fragen. Soll ich es wirklich wagen? Ja, denke ich und spreche laut aus: Was macht Liebe, was Verlustangst aus und wie kann ich Liebe erkennen und gleichzeitig die Angst von ihr abtrennen, sodass sie mich nicht mehr einschränkt? Sodass mein Leben von Liebe wird gelenkt und nicht von alten Emotionen? Ich, ich weiß es nicht, richte die Frage deshalb an dich und hoffe innerlich, dass du es mir erklären kannst.
Anmerkung:
Text: Februar 2023. Der Text stellt ein wildes Potpourri aus eigenen Erfahrungen oder Emotionen der letzten 20 Jahre, Gehörtes von anderen, Büchern, Gedanken und Ausgedachtem, was sich gut reimt und anhört, inspiriert durch ein Gespräch über Polyamory mit ein paar Bekannten dar.
Foto: Melaten Friedhof im März2023©Kristine.